Theoretischer Hintergrund 35
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Zum anderen erscheinen die Bedrohlichkeit und die Wahrscheinlichkeit, dass die
Katastrophe wirklich eintritt, noch größer und realistischer. Hierbei kommt das Prinzip
der „willkürlichen Schlussfolgerung“, welches bei Angstpatienten häufig beobachtet
wird, zum Tragen: „Wenn ich so viel dagegen unternehme, muss es wirklich bedroh-
lich sein.“ Auf diesem Weg kommt der Patient erst gar nicht in die Situation, seine
bedrohliche Annahme bzw. seine Wahrscheinlichkeitseinschätzung im Hinblick auf
den Eintritt der Katastrophe tatsächlich überprüfen zu können (Wells & Clark, 1997).
Ein weiterer, häufig angeführter Gesichtspunkt ist, dass aufgrund von Sicherheits-
verhalten das Angstnetzwerk eines Patienten möglicherweise nicht ausreichend
aktiviert wird, was nach Foa und Kozak (1986) neben der Habituation während der
Expositionssitzung und der Habituation über die Expositionssitzungen hinweg eine
zentrale Voraussetzung für die Reintegration neuer korrigierender Informationen ist.
Die Anwendung von Sicherheitsverhalten wäre auch eine mögliche Erklärung für die
Tatsache, dass einige Patienten, die sich trotz starker Angst immer wieder pho-
bischen Situationen aussetzen, keine Angstreduktion bzw. Habituation erleben.
Auch die umgekehrte Annahme, dass die Anwendung von Sicherheitsverhalten
Angstsymptome verstärken kann, wird diskutiert. Bemüht sich ein Patient beispiels-
weise Atemübungen zu machen, während er eine Panikattacke erlebt, und bemerkt,
dass die Umsetzung aufgrund anhaltender Hyperventilation nicht gelingt, so verfällt
er meist in noch größere Panik und fördert damit den Aufschaukelungsprozess. Des
Weiteren kann Sicherheitsverhalten auch zu einer Gefährdung werden, wenn ein
Autofahrphobiker beispielsweise auf der Überholspur verkehrsbehindernd langsam
fährt. Auch Wells und Clark (1997) schreiben dem Sicherheitsverhalten bei
Sozialphobikern folgende ungünstige Auswirkungen zu: a) Sicherheitsverhalten
erhöht physiologische Symptome (z.B. Jackett anbehalten, um Schweißflecken zu
verstecken, fördert erst recht Schwitzen); b) Sicherheitsverhalten verhindert, dass
Patienten die Widerlegung ihres unrealistischen Gedankens im Hinblick auf die ge-
fürchteten Konsequenzen erfahren; c) Sicherheitsverhalten setzt Selbstaufmerk-
samkeit voraus, was wiederum Prozesskapazität beansprucht, die dann nicht auf die
Widerlegung des unrealistischen Gedankens verwendet werden kann; d) Sicher-
heitsverhalten kontaminiert die soziale Interaktion und ist häufig auffälliger als
Symptome, die dadurch versteckt werden sollen (z.B. können auswendig gelernte
Sätze die Kommunikation erst recht unbeholfen wirken lassen).
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